Rudolf Hart

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Rudolph Hart wurde am  4. 1. 1913 in Graz am Schönaugürtel 21 geboren. Seine Eltern hießen Josef und Aloisia Hart und waren schon 9 Jahre verheiratet als Sohn Rudolf zur Welt kam.  Seine Eltern kamen aus der Arbeiterschicht. Er hatte mehrere Geschwister, darunter zumindest eine Schwester, namens Stefanie, geb. 1909. Rudolf wohnte bei seinen Eltern bis zu seiner Verhaftung in der Triester Straße 85. Als Beruf wurde Automechaniker in seinen Dokumenten angegeben.

Wann Rudolf Kontakt zu den Zeugen Jehovas bekam ist nicht bekannt, es ist anzunehmen, dass er noch keine 20 Jahre alt war, denn am 5.4.1932 ist der Austritt aus der röm. kath. Kirche im Taufregister vermerkt.

Rudolf blieb ledig und wurde ein sehr aktiver Zeuge Jehovas, der sich auch an missionarischen Touren beteiligte.

Aus dem Erinnerungsbericht von Franz Reinbacher (langjähriger Zeuge Jehovas aus dem Raum Deutschlandsberg und Voitsberg) aus dem Jahr 1970 können wir folgendes erfahren:

„Rudolf wusste auch über die Organisation des Volkes Jehovas besser Bescheid als ich, denn er war einer der 144 000 Kämpfer. Hart ist dann öfter zu uns gekommen [nach Bad Gams in der Weststeiermark, Anm. des Verfassers] und ist oft wochenlang bei uns geblieben. Wir waren alle beide arbeitslos. Die 30iger Jahre sind heute noch bekannt als die größte Krise über die zivile Welt von damals. …

Dieser mein neuer [Glaubens]Bruder hatte ein Fahrrad mit Ballonbereifung. Ungefähr so wie bei einem Moped heute. Es war damit gut zu fahren, nur nicht gegen den Wind. Mit diesem Fahrrad ist er dann immer zu uns gekommen. Es sind immerhin mehr als 30 km von Graz und hatte noch dazu etliche Steigungen zu überwinden. Doch wir hatten Zeit. … Wir gingen nebenbei gemeinsam predigen. Im Sommer bis auf die Alm hinauf.  Es waren einige größere Ortschaften wie St. Oswald ob Freiland. Bis dorthin mussten wir 3 Stunden bergauf gehen und die Bauernhöfe waren vielfach eine halbe Stunde voneinander entfernt. Nun kam das Jahr 1936, wo im Oktober in Luzern in der Schweiz ein großer Kongress abgehalten wurde. Hart brachte für sich das Geld für die Autobusfahrt zusammen und hatte mir sein Fahrrad geliehen, mit dem ich bis Stadt Salzburg gefahren bin. Und von dort fuhr ich mit den Salzburger Brüdern mit.“

Rudolf Hart (rechts) mit Freunden

Rudolf Hart (rechts) mit Freunden

 

Dann kam der Herbst 1939. Olga Haring, eine langjährige Zeugin Jehovas berichtete: „Für die Brüder kam die Zeit besonders tapfer zu sein. Und es war für viele gut alleinstehend geblieben zu sein, denn ohne Familie zu hinterlassen, war der Abschied leichter. Und so kam es dann im Herbst 1939 dass einer nach dem anderen zur Musterung einberufen, den Wehrdienst aus christlicher Überzeugung ablehnte und dann verhaftet wurde. Bevor es soweit war, hatten wir uns zum Lesen in der Bibel in den verschiedenen Wohnungen getroffen, auch in unserer, nur immer 4-5 Personen, ahnten aber nicht, dass wir schon beobachtet wurden.“

Am 8. Dezember 1939 wurde der 26-jährige Rudolf Hart verhaftet. Offensichtlich erhielt er den Einberufungsbefehl und wie aus dem Bericht von Irmgard Albrecht geb. Reinbacher hervorgeht, kam die Schwester von Rudolf mit dem Fahrrad zu Familie Reinbacher nach Bad Gams: Sie wurde von der NS unter Druck gesetzt ihren Bruder zur Musterung nach Graz zu bringen. Rudolf soll zum Abschied gesagt haben: „Ich kann mich ja nicht immer verstecken. Einmal muss es halt sein.“

Nach 3 Monaten in Gestapohaft wurde er am 29.2.1940 ins KZ Sachsenhausen bei Berlin überstellt und wurde zur Nummer 20476.

Er kam in der wohl schlimmsten Zeit ins Lager. Es erwarteten ihn schon mehrere hundert Zeugen Jehovas, die alle in der sogenannten Isolierung waren, einem ein Lager innerhalb des Lagers mit fester Umzäunung als deutlicher Abgrenzung zum „normalen“ Lagerbetrieb, die Fenster der Baracken wurden mit weißer Farbe getüncht, um ein Hinein- oder Hinaussehen zu verhindern.

Der Ankunft im Lager gestaltete sich für Rudolf wahrscheinlich so wie bei Rudolf Stonig aus Wagrein/Salzburg, der einige Monate davor nach Sachsenhausen kam:

„Es war der 26. November 1939, 11 Uhr vormittags, als wir mit den Polizeiautos im Lager Sachsenhausen eintrafen. Die Polizei schimpfte uns von den Autos und riefen: „Ihr Drecksäcke“ im Laufschritt durch das Tor im Lager, dort mussten wir Aufstellung nehmen. Es kam der Lagerführer und hielt uns eine zynische Ansprache. Er sagte unter anderem, dass wir so lange im K.Z. verbleiben, bis wir uns geistig völlig umgestellt haben.

Nach etwa zweistündigem Warten bei kaltem unfreundlichem Wetter wurden wir ins Bad abgeführt. Nach dem Bad mussten wir abermals Stellung nehmen und wurden befragt, warum wir hier seien.

Manche sagten, sie wissen es selbst nicht, die bekamen am meisten Schläge.

Schläge bekamen wir alle. Es waren ca. sechzig Zugänge. Nun hieß es, ins Bad eintreten, wurden kahl geschoren, kamen unter die warme Brause und wurden dann mit einem mächtigen kalten Wasserstrahl abgeduscht. …

 

Und nun bekamen wir unsere Zebras, zogen uns an, dann hieß es, im Gänsemarsch austreten.

Bei der Tür standen ein paar SS, die schlugen noch einen jeden.

Jetzt wurden wir gemustert, die Politischen separat, die Berufsverbrecher separat, die waren am liebsten, die Asozialen, die Schwulen, die Juden und wir Zeugen Jehovas.

Ich und noch ein Bruder aus Salzburg kamen sofort in die Isolierung, das heißt Strafkommando. Als wir in die Isolierung kamen, fragte uns der Isolierungsälteste, ob wir unterschreiben wollen, wir sagten nein, „Ihr werdet die Hölle haben“, sagte er, gleich darauf kam Hauptscharführer Pocktaller, er fragte uns gemütlich, ob wir unterschreiben wollen, wir verneinten dies wie immer, flugs lagen wir schon am Boden, wir konnten nicht so schnell schauen, wie er schlug.

Mein Kamerad war bewusstlos, er hatte an der Stirne eine Schramme.

Ich musste für 5 Minuten unter die kalte Brause samt den Kleidern dann frug er ständig: „Willst du unterschreiben?“

Ich sagte immer nein, nein, nein. Dann musste ich bei Schneetreiben 2 Tage stehen und bekam am ersten Tag nichts zu essen. Mich schüttelte es nur so vor Kälte. Diese Prozedur mussten alle Zeugen Jehovas machen. So manche starben dadurch.

Ich wurde von meinen Glaubensbrüdern recht herzlich empfangen, sie freuten sich, dass ich so standhaft war und nicht unterschrieb. Ich erzählte ihnen, was es in der Welt Neues gab, denn so manche waren schon fünf Jahre im K.Z. und Zeitungen gabs für uns keine.

Sie frugen mich, wie denn die Bevölkerung eingestellt sei, ich sagte, sie seien wahnsinnig und zu 95% sind sie Nazis und sehr kriegsbegeistert, man hört bei jeder Gelegenheit ein brausendes „Heil“ und „Führer“, „Wir danken Dir“, rufen.

Ein Glaubensbruder nähte mir einen blauen Winkel an und Nummer 13 661 an der linken Brustseite fest und unterrichtete mich in allem.

Morgens um ½ 5 Uhr war aufstehen, eine Stunde Bettenbau, Blockreinemachen, schwarzes Wasser trinken und im Winter hieß es um ½ 7 Uhr austreten, um sieben Uhr war Appel.

In Fünferreihen wurde Aufstellung gemacht, Blockweise, dann kamen die SS-Schergen, der Blockälteste kommandierte: „Mützen ab“! und das musste ein Schlag sein, wenn das nicht ganz einwandfrei klappte, dann hieß es hinlegen auf hinlegen oder Kniebeuge mit Sachsengruß.

Es fing ein großes Sterben an im Lager, bis zu achtzig täglich, bei einem Stand von 15.000 Häftlingen.

Wir in unserem Block hatten täglich bis zu fünf Tote. Sie starben über Nacht in den Betten, morgens beim Kaffee trinken, beim Appell.

Und wenn auch einer im Sterben lag, er musste morgens bei Läuten raus. Er wurde in den kalten Schnee gelegt zum Mitzählen.

Auf uns Zeugen Jehovas hatten sie es besonders scharf, wenn einer im Sterben lag, wurde er ins Klosett geworfen zum Sterben, manchmal wurden sie noch begossen.

Jede ärztliche Hilfe wurde verweigert. Jehova soll euch helfen sagten die Peiniger.

Im ersten Winter mussten wir fast täglich Strafsport machen, hüpfen, tanzen, bis wir schwindlig wurden, Radfahren und rollen, ja oft stundenlang, bis wir alle kotzten, einer wie der andere rollte in das Gekotzte. Wir stanken oft furchtbar.

Man schlug uns oft.

Unvergesslich bleibt mir der 15. Jänner 1940. In einem Arbeitskommando, wo ich auch dabei war, unternahm ein Berufsverbrecher einen Fluchtversuch, es war 10 Uhr vormittags. Daraufhin mussten wir ins Lager einrücken, wurden geschlagen, mussten schweren Sport machen und durch eine Wasserpfütze rollen, so dass wir nass wurden, bekamen nichts zu essen und abends zum großen Tor gehen und die ganze Nacht stehe. Wir waren 96 Häftlinge mit allen Farben.

In dieser Nacht schneite es, daher war es nicht zu sehr kalt. Ich hatte keine Handschuhe und durch das Hängenlassen der Hände, die ganze Nacht hindurch, schwollen sie mir stark an.

Am nächsten Tag bekamen wir wieder nichts zu essen. Vormittags mussten wir stehen und nachmittags mussten wir Kniebeugen machen mit Sachsengruß und abends hieß es wieder ans große Tor.

Es fing an furchtbar kalt zu werden. Ich strampelte mit den Füßen, was ich konnte, aber es half nichts mehr, sie wurden immer kälter und steifer.

Ein Glaubensbruder aus Salzburg sagte zu mir, nun hat uns der Herr verlassen. Ich sagte nein, der Herr hat uns nicht verlassen, wir gehen nicht zugrunde, du wirst sehen, wir gehen abends noch in die Blocks.

Dies hörte ein Berufsverbrecher, er sagte, wenn das der Fall wäre, dann glaubt er auch an einen Gott, aber, meinte er, der Lagerkommandant hat befohlen, auch diese ganze Nacht zu stehen und wenn wir alle zugrunde gehen, es ist nicht schade um uns Schweine.

Etliche fielen schon um, etliche sagte, sie gehen in den elektrischen Draht, es ist der bessere Tod als Erfrieren.

Es ging gegen sieben Uhr abends, der Wind pfiff wie noch nie, eiskalt, ich sah mich nur mehr kurze Zeit am Leben.

Auf einmal hieß es, still gestanden, im Gleichschritt marsch, es ging der Isolierung zu.

Ich wankte fast, die Brüder in den Blocks nahmen sich meiner sofort an, zogen mich aus und massierten mich. Sie hatten still gebetet, der Herr möge uns erretten. Sie gaben mir Brot von ihren wenigen, ich hatte aber keinen Appetit. Ich wollte nur schlafen und wieder schlafen.

Was wird wohl der Morgen wieder bringen? Man hatte ja mit dem Leben abgeschlossen, dennoch hoffte man, man wartete auf morgen, übermorgen. Auf ein Ereignis, auf Befreiung. Und das sollte noch lange Jahre dauern, es war ja gut dass man es im Vorhinein nicht wusste.

Die Kälte nahm überhand, die Arbeitskommandos wurden eingestellt, weil sich die Wachposten die Füße erfroren, und wir blieben im Block und froren. Ganze sieben Briketts bekamen wir täglich zum Heizen, dafür wurden wir öfter gemustert, ob wir ja um keinen Lappen mehr angezogen haben, wie es Vorschrift war.

Im Freien, bei großer Kälte mussten wir uns ausziehen und dann wurde kontrolliert, wer auffiel, musste nackt durch den Schnee rollen oder den geschorenen Kopf für längere Zeit in den Schnee stecken. (Erinnerungsbericht Rudolf Stonig)

 

Alle Häftlinge der Isolierung, erhielten keine medizinische Versorgung, keine warme Kleidung, längere Arbeitszeiten und immer wieder Essensentzug. Darüber hinaus durften sie Briefe mit nur 5 Zeilen schreiben.

Ein solcher Brief vom 23. August 1942 ist von Rudolf Hart im Grazer Landesarchiv aufbewahrt.

„Liebe Eltern und Geschwister, bedanke mich herzlich für die schöne Karte, die ich von Maria erhalten habe. Bin gesund und munter, was ich auch euch allen von Herzen wünsche. Nochmals die allerherzlichsten Grüße und hoffend auf ein Wiedersehen. Euer Rudolf.“

Ein Zettel klebt auf dem Brief mit folgenden Hinweisen:

Dem Häftling darf zugesandt werden:
Pullover, Hemden, Unterhosen, Socken, Taschentücher und Handschuhe.
Verboten ist, diesen Sendungen Lebens- u. Genussmittel, Fotos, Briefe oder anderes beizulegen.
Pakete, die diesen Anforderungen nicht entsprechen, werden zurückgesandt.“

 

Rudolf verspürte brüderliche Liebe und Solidarität, Stärkung durch religiöse Zusammenkünfte, die heimlich regelmäßig jeden Sonntagnachmittag ab 1942 im Block 59 stattfanden, aber auch sogenannte „geistige Speise“, religiöse Literatur stand zur Verfügung. Die Gemeinschaft mit langgedienten und in der Leitung der Zeugen Jehovas erprobten Glaubensbrüdern ermunterte den jungen Rudolf bestimmt auszuharren und im Glauben stark zu bleiben. Er durfte z. B. miterleben wie der Komponist Erich Frost im Lager das motivierende Marschlied „Fest und entschlossen“ komponierte, das dann später im Liederbuch der Zeugen Jehovas veröffentlicht wurde

Rudolf verstarb am 24.9.1942 kurz bevor es Erleichterungen in der Behandlung der Zeugen Jehovas gab.

Franz Reinbacher berichtet über den Tod von Hart: „Er kam in ein Lager bei Berlin, von wo später seine blutbefleckten Kleider heimgesandt wurden, mit dem Bemerken, er sei an Ruhr gestorben.“

 

Recherche und Text: Heide Gsell

Quellen:

Totenbuch KZ Sachsenhausen http://www.stiftung-bg.de/totenbuch/main.php

Meldekartei Graz

Taufbuch I 1908 – 1914 – Graz-St. Josef

https://matriken.graz-seckau.at/flashbook?id=1577&currentPage=296

Eltern: Trauungsbuch XXVIII 1904 – 1909 – Graz-Hl. Blut

https://matriken.graz-seckau.at/flashbook?id=653&currentPage=18

Vater: Taufbuch XIV 1859 – 1871 – Trautmannsdorf

https://matriken.graz-seckau.at/flashbook?id=5231&currentPage=246

Gedenkstätte und Museum Archiv Sachsenhausen

Erinnerungsbericht Franz Reinbacher aus dem Jahr 1970

Erinnerungsbericht Rudolf Stonig

ZeugInnen Jehovas



Rudolf Hart

Triester Str. 85