Irma Neufeld

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HIER WOHNTE
IRMA NEUFELD
GEB. LUSTIG
JG. 1880
FLUCHT 1939
PALÄSTINA

 

Leopold Neufeld wurde am 4. Juni 1876 geboren und wuchs in Semriach am Fuße des Schöckl auf. Irma Lustig stammte aus Senec in der Nähe von Bratislava, ihr Geburtsdatum ist der 28. Februar 1880. Die beiden heirateten 1907. Vor ihrer Übersiedelung nach Graz lebten die Neufelds in Peggau, wo ihre vier Kinder – 1905 Therese, 1906 Elsa, 1908 Ignatz und 1909 Leo – auf die Welt kamen. Schon dort führte Leopold ein Geschäft – sein Neffe Carl absolvierte bei ihm eine Kaufmannslehre.
1926 übersiedelten Irma und Leopold Neufeld nach Graz und wohnten seit Beginn dieses Jahres im Haus am Entenplatz, Hausnummer 9. Bis zur erzwungenen Flucht im Februar 1939 lebte die Familie an dieser Adresse.
Das Gebäude bestand aus einer Dreizimmer- und einer Vierzimmerwohnung im ersten Stock. Im Parterre befanden sich zwei Kanzlei- und drei Magazinräume, zum Haus gehörte außerdem ein kleiner Garten. Des Weiteren besaßen die Neufelds noch ein Haus in Frohnleiten, einen am Entenplatz 9 eingetragenen Getreidegroßhandel, ein Textilgeschäft am Griesplatz und einige Grundstücke südlich von Graz.

Bewerbung um die „Arisierung“ des Neufeld-Hauses in Frohnleiten

Bewerbung um die „Arisierung“ des Neufeld-Hauses in Frohnleiten
Quelle: StLA, Arisierungen, Akt Leopold Neufeld, LG 6346; aus Edda Engelke, Leopold und Irma Neufeld und ihr jüdischer Mieter Moritz Weinberger: Arisierung und Restitution in Graz und auf dem Land. Unveröffentlichtes Manuskript.


 

Dieses vielfältige Vermögen wurde seinen jüdischen Eigentümern innerhalb kürzester Zeit entzogen:
Das Textilfachgeschäft am Griesplatz 2 hatte Leopold Neufeld seit 1911 in gemieteten Räumlichkeiten geführt, seine dortigen Kunden im „Detailgeschäft von Manufakturwaren, Konfektion, Wäsche und Schuhen“ waren „vorwiegend Bauern sowie Arbeiter“. Noch im Sommer wurde es an Othmar Fürpass, einen vormals illegalen Nationalsozialisten aus der Weststeiermark, verkauft – der ohnehin zu niedrige Preis, ein sogenannter „Entjudungserlös“, ging allerdings nicht an die Familie Neufeld, sondern an die nationalsozialistischen Behörden. Fürpass sicherte sich in der Folge auch das Haus am Entenplatz.

Debitoren-Liste (aus den Recherchen von Edda Engelke

Debitoren-Liste (aus den Recherchen von Edda Engelke)


 

Offizieller Leiter des am Entenplatz eingetragenen Getreidehandels war Leopold Neufeld jun., der sich im März 1938, zum Zeitpunkt der Machtübernahme der Nationalsozialisten, in Triest aufhielt. Dies war für die örtlichen Behörden ein Grund, schnellstmöglich einen kommissarischen Verwalter für das Unternehmen zu bestellen, da man „eine Vermögensverschleppung“ ins Ausland befürchtete. Hinweis auf die Größe des Betriebes gibt die erhaltene Debitoren- – das bedeutet Schuldner – liste. 27 Namen sind darauf vermerkt, vor allem Mühlen – die Standorte reichten dabei von Bruck an der Mur bis Leibnitz, von Lavamünd und Wolfsberg in Kärnten bis nach Osijek im heutigen Kroatien. Der Getreidehandel wurde von den Nationalsozialisten liquidiert, am 10. November wurde in der „Grazer Zeitung“ die Löschung der Firma L. Neufeld bekannt gegeben.
Das kleine Haus in Frohnleiten umfasste im Parterre eine Gemischtwarenhandlung samt Küche sowie einen Lagerraum und eine Waschküche. Im ersten Stock befanden sich drei Wohnräume, Vorzimmer und eine Küche, außerdem gab es noch zwei kleine Räume unter dem Dach. Auch dieser Besitz wurde im Laufe des Jahres 1938 von örtlichen Nationalsozialisten „arisiert“ – so nannte das Regime die Enteignung jüdischen Besitzes und die Vergabe von diesem an linientreue NSDAP-Parteigänger.

Meldezettel Irma Neufeld (Vorderseite)

Meldezettel Irma Neufeld (Vorderseite)
Quelle: Meldezettel der Stadt Graz: Ilse Neufeld, geb. Lustig.


 

Begonnen hatten die Schikanen für Leopold Neufeld schon am ersten Tag nach dem „Anschluss“ Österreichs, als sein Auto von der SS beschlagnahmt wurde. Doch damit nahmen die Probleme für die Familie erst ihren Anfang. Leopold sen. und sein Sohn Ignatz, genannt „Iggi“, der an einer Form von „Entwicklungsstörung“ litt, wurden festgenommen und ins Konzentrationslager Dachau in sogenannte „Schutzhaft“, ein euphemistischer Begriff für eine Inhaftierung ohne rechtlichen Hintergrund, gebracht. Leopold fürchtete vor allem um das Leben seines Sohnes, wie er in Briefen an Verwandte schrieb. Glücklicherweise kamen Leopold und Ignatz nochmal frei. Die Familie konnte rechtzeitig fliehen und nach Palästina emigrieren. Über die Fluchtgeschichte selbst ist nur wenig bekannt – eine kleine Anekdote von Vera Neufeld, der Nichte von Leopold, berichtet darüber, dass Irma den Familienschmuck in einem für die Ausreise gepackten Lift versteckte. Dieser wurde allerdings gefunden und die Neufelds mussten ohne ihre Wertgegenstände – „Hals über Kopf“ – das Land verlassen. Die Abmeldung nach Palästina ist am Meldezettel für Februar 1939 vermerkt. Verlassen durften sie das nunmehr „Deutsche Reich“ allerdings erst, nachdem sie die Reichsfluchtsteuer bezahlt hatten.

Meldezettel Irma Neufeld (Rückseite)

Meldezettel Irma Neufeld (Rückseite)
Quelle: Meldezettel der Stadt Graz: Ilse Neufeld, geb. Lustig.


 

Die Historikerin Edda Engelke, die in ihrer Heimat Frohnleiten zum Thema „Arisierungen“ forschte, wurde auf Irma und Leopold Neufeld aufmerksam und recherchierte die Hintergründe über den Raub der Besitztümer und Geschäfte der Familie (vgl. Arisierung und Restitution in Graz und auf dem Land). Abgesehen davon kommen Irma und Leopold meist nur in Randbemerkungen in Forschungsarbeiten über andere Mitglieder der in Graz und Umgebung ansässigen gewesenen Familie vor. Bekannt ist, dass Leopold nach Kriegsende von Tel Aviv aus – teilweise erfolgreich – die Rückerstattung seines „entzogenen Eigentums“ im Sinne des Zweiten Rückstellungsgesetzes betrieb. Die Familie, auch die vier Kinder, blieb in Palästina beziehungsweise im 1948 gegründeten Staat Israel und baute sich dort ein neues Leben auf. Beruflich arbeitete Leopold noch einige Jahre als Trafikant. Er verstarb am 17. August 1950. Das genaue Sterbedatum von Irma ist uns nicht bekannt. Die für Irma und Leopold verlegten Stolpersteine am Entenplatz erinnern an die einstige Kaufmannsfamilie, deren florierende Betriebe und Existenz von den Nationalsozialisten zerstört wurden.

Biografie: Mag. Thomas Stoppacher

Quellen:

  • Edda Engelke, Leopold und Irma Neufeld und ihr jüdischer Mieter Moritz Weinberger: Arisierung und Restitution in Graz und auf dem Land. Unveröffentlichtes Manuskript.
  • Meldezettel der Stadt Graz: Leopold Neufeld.
  • Meldezettel der Stadt Graz: Ilse Neufeld, geb. Lustig.
  • Gerald Lamprecht, “Die Zeit bis zur Ausreise – Familienalben im Blick“, in: Wohin geht die Reise?, herausgegeben von Sabine Eggmann, Susanna Kolbe und Justin Winkler, Basel 2019, 447-462. Online im Internet
  • Interview von Heribert Macher-Kroisenbrunner mit Vera Neufeld am 31. Mai 2021 in Graz-Straßgang.
  • Einträge zu Leopold Neufeld, Irma Neufeld, Therese Tischler, Elsa Reisz, Ignaz Neufeld, Leo Neufeld, in: Plattform geni.com.

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