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Verlegung von Stolpersteinen in Sinabelkirchen für Maria Ertl und Simon Gölles

1.Oktober 2023 um 10:00 Uhr

So, 1. Oktober 2023, 10:00, 8281 Sinabelkirchen, am Marktplatz vor dem Gemeindeamt
für Maria Ertl (Opfer von „Euthanasie“-Mord)  und Simon Gölles (im Widerstand aktiv)

 

HIER WOHNTE
MARIA ERTL
JG. 1920
EINGEWIESEN 7.2.1939
HEILANSTALT
FELDHOF-GRAZ
DEPORTIERT 15.1.1941
SCHLOSS HARTHEIM
ERMORDET JAN. 1941
HIER WOHNTE
SIMON GÖLLES
JG. 1905
IM WIDERSTAND
MISSHANDELT 18.9.1938
VERHAFTET
ÜBERLEBT
——

Biografien

(Recherchen Toni Ihaler, Engelbert Kremshofer, Doris Fikerment, Texte: Doris Fikerment)

MARIA ERTL
JG. 1920

Maria Ertl wurde am 4. Februar 1920 als Tochter des Leopold Ertl und seiner Frau Agnes, geb. Dandl in Untergroßau 8, Gemeinde Untergroßau geboren. Sie wurde am 5. Februar in Untergroßau getauft und am 16. Mai 1930 in Eichkögl gefirmt.1 Die Ortschaft Untergroßau liegt im Westen der Marktgemeinde Sinabelkirchen und wurde bereits 1175 in einer Schenkungsurkunde als „Grassa“ erwähnt.2
Ihre Eltern, beide Bergler (Kleinbauern), haben am 22. April 1918 in Ilz geheiratet.3 Leopold und Agnes Ertl bekamen insgesamt 4 Kinder, 3 Buben und 1 Mädchen: Josef4; Maria, Leopold5 und Johann6. Ihr ältester Sohn, Josef, übernahm den elterlichen Besitz in Untergroßau 8, wo er bis zu seinem Tod 2004 lebte.7
Maria hat in Sinabelkirchen die Volksschule besucht, und diese nach acht Schuljahren verlassen.8
Dort erwarb sie, trotz ihrer zittrigen Hände, sehr gute Handarbeitsfähigkeiten. So fand am Sonntag, den 10.04.1927, in der Volksschule Sinabelkirchen eine Ausstellung von
Schüler*innenarbeiten statt. Die Handarbeitslehrerin, Frau Maria Pfeiler, stellte viele hunderte Handarbeiten ihrer Schülerinnen zur Schau.9
Ein Aufbahrungstuch, dass vom Maria Ertl gestickt wurde.10
Maria wurde am 10. September 1935 erstmals in den Feldhof Graz eingeliefert. Sie konnte bereits zehn Tage nach ihrer Einlieferung, am 20. September 1935, eine Besserung ihres Gesundheitszustandes erzielen, wodurch sie in die Obhut von Anna Pfeiffer aus Untergroßau übergeben wurde.11 Kurz nach dem Anschluss, am 4. April 1938, wurde Maria Ertl ein weiteres Mal in die Anstalt in Graz aufgenommen. Ihr dortiger Aufenthalt beschränkte sich auf wenige Wochen. Sie wurde am 16. Mai 1938 in die Obhut von Theresia Pfeiffer wohnhaft in Wetzelsdorf übergeben.12 Laut den Aufzeichnungen des Feldhofes hat sich ihr Wohnort – Untergroßau 8 – jedoch niemals geändert. Am 7. Februar 1939 wurde sie ein letztes Mal in die Anstalt Feldhof in Graz aufgenommen. Dort verblieb sie bis zum 15. Jänner 1941, wo sie nach Niedernhart/Linz transferiert und zu ihrer Ermordung nach Hartheim transportiert wurde.13
Im Nationalsozialismus gehörten der Anstalt Feldhof auch kleinere Filialen wie Kainbach, Lankowitz und Messendorf an. Im Laufe der Zeit wurden mehrere Filialen aufgelöst. Im Zuge dieser Auflassungen wurden wiederum viele Patient*innen nach Hartheim transportiert, dies bezeugt auch die schwankende Anzahl der Patient*innen im Feldhof.  Von 1940 bis 1944 war Dr. Oskar Begusch der ärztliche Leiter des Feldhofs und schickte mit drei weiteren verantwortlichen Ärzten bis Kriegsende mehr als 1.000 Patienten im Feldhof in den Tod. Das im Feldhof
diagnostizierte Krankheitsbild wurde direkt der Kanzlei des Führers Adolf Hitler in Berlin gemeldet.14
All diese Gegebenheiten werden durch den aktiven Schriftverkehr zwischen dem Feldhof Graz, Hartheim und Niedernhart belegt. Die direkte Vernetzung zwischen Niedernhart und dem Feldhof dokumentiert ein Schreiben der Anstalt Niedernhart vom 3. Jänner 1941, in welchem dem Feldhof mitgeteilt wird, dass der vorgesehene große Transport am 13. Jänner 1941 nicht stattfinden kann, da zuerst „Rückstände aufgearbeitet“ werden müssten.15
Im Jahr 1941 organisierte man die Transporte neu. Die Anstalt wurde ab diesem Zeitpunkt erst am Vortag des Transportes informiert, damit die Abgänge so reibungslos wie möglich verliefen. Ferner erfolgten die Abtransporte nur mehr in Kleingruppen. Diese Regelung führte dazu, dass Dr. Arlt erst nach dem Transport der 70 weiblichen Kranken nach Niedernhart am 15. Januar 1941 erfuhr.16
Es ist unbekannt, ob die Transporte aus Graz direkt nach Hartheim gingen oder über Niedernhart in Linz geführt wurden. Niedernhart und Hartheim standen unter der Leitung von Dr. Rudolf Lonauer. Dieser hatte eigene Abteilugen auf denen er Patient*innen, die zur sogenannten Euthanasie vorgesehen waren, unterbringen konnte. Aus Beschuldigtenvernehmungen ist bekannt, dass die Aufenthalte in Linz etwa drei bis fünf Tage dauerten. Sterbeurkunden wurden in Hartheim ca. 2 bis drei Wochen nach dem Transport beurkundet. Eine exaktere Eingrenzung des Todesdatums ist nicht möglich. In Hartheim gab es keine Unterbringungsmöglichkeit für Patient*innen, diese wurden unmittelbar nach der Ankunft ermordet.17

Schloss Hartheim, Tötungsanstalt 1940-4118

Während des Umbaues des Schlosses Hartheims 1940 wurden die vormaligen Bewohner*innen des Schlosses in andere Pflegeanstalten im Gau Oberdonau gebracht. Sie sollten zu den ersten Opfern der Tötungsanstalt Hartheim werden. Die Morde in der Gaskammer begannen im Mai 1940. Für den reibungslosen Ablauf sowie die bürokratische Abwicklung waren neben einem Büroleiter auch Pfleger*innen, Bürokräfte, Kraftfahrer und viele weitere Personen unterstellt, die für die Umsetzung und Tarnung der Tötungen maßgeblich verantwortlich waren. Zwischen 1940 und 1944 wurden im Schloss Hartheim rund 30.000 Menschen ermordet. Es handelte sich dabei einerseits um Personen mit körperlicher und geistiger Behinderung sowie psychischen Erkrankungen die in psychiatrischen Anstalten, Pflegeeinrichtungen oder Fürsorgeheimen untergebracht waren („Aktion T4“). Andererseits wurden auch arbeitsunfähige Häftlinge aus den KZ-Systemen Mauthausen-Gusen, Dachau und Ravensbrück („Aktion 14f13“, auch „Sonderbehandlung 14f13“), sowie zivile Zwangsarbeiter*innen aus Osteuropa und der Sowjetunion nach Hartheim gebracht. Zur Jahreswende 1944/45 wurden Rückbauarbeiten im Bereich der Tötungsanlagen durchgeführt. Nichts sollte mehr daran erinnern, wie dieser Ort in den Jahren davor genutzt worden war. 1995 wurde der Verein Schloss Hartheim gegründet, dessen Ziel es war, in Schloss Hartheim einen angemessenen Ort der Erinnerung, des Gedenkens und der gesellschaftlichen Auseinandersetzung zu schaffen. Im Jahre 2001 wurden auf diesem Gelände sterbliche Überreste von Opfern der NS-Euthanasieanstalt Hartheim aufgefunden. In einem Sarkophag ruhen jetzt diese Überreste der unbekannten Opfer. Sie wurden im September 2002 in einer interreligiösen Zeremonie beigesetzt.19
1 Sinabelkirchen – Taufbuch 7 1912-1931 | 15185 – Seite 101
2 Anton Ithaler. Marktgemeinde Sinabelkirchen, der Lebensraum und seine Bewohner. Sinabelkirchen 1997. Seite 24.
3 Ilz – Trauungsbuch 8 1902-1919 – 13315 Seite 177
4 Sinabelkirchen – Taufbuch 7 1912-1931 | 15185 – Seite 86, Geburtsjahr 1919
5 Sinabelkirchen – Taufbuch 7 1912-1931 | 15185 – Seite 145, Geburtsjahr 1922
6 Sinabelkirchen – Taufindex 1912-1931 | 15191 – Geburtsjahr 1924
7 Sinabelkirchen – Taufbuch 7 – Seite 86
8 Wie die im Archiv in der Volksschule Sinabelkirchen abgelegten Schülerkataloge belegen. Zusammengestellt von Toni Ithaler, Nestelbach 123, 8262 Ilz (11.02.2023)
9 Aus den Alpenländern. Steiermark. Sinabelkirchen, 14. April – Schulausstellung. In: Neues Grazer Tagblatt, 37. Jg., Nr. 191, 16. April 1927, S. 13; https://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=gtb&datum=19270416&seite=13&zoom=33.
10 Quelle: Engelbert Kremshofer, Spaßvögel, boshafte und brave Leute aus der Steiermark, Eigenverlag, Ziegenberg 53, 2. Auflage, 2018, Seite 119.
11 Feldhof-Archiv, Standesbücher, Alte Reihe, AZ 40045.
12 Feldhof-Archiv, Standesbücher, Alte Reihe, AZ 42132.
13 Feldhof-Archiv, Standesbücher, Alte Reihe, AZ 43021..
14 Vgl. POIER Birgit, „Euthanasie“ in der Steiermark. Nationalsozialistische Gesundheits- und Sozialpolitik
gegen Behinderte und psychisch Kranke am Beispiel der Grazer Anstalt „Feldhof“. Ungedr. Dipl.-Arb. Graz
2000, S. 4
15 Vgl. dazu: Tagebuch von Dr. Ernst Arlt, der zur Zeit des Nationalsozialismus als Arzt am „Feldhof“ tätig war, StLA, K1 / H1, S. 239–240, Nr 5.
16 Vgl. Tagebuch von Dr. Arlt, StLA, K1 / H1, S. 75.
17 Auskunft von Mag. Peter Eigelsberger von der Dokumentationsstelle Hartheim, 24.04.2023
18 Schloss Hartheim, Tötungsanstalt 1940-1944; https://www.schloss-hartheim.at/gedenkstaette-ausstellung/historischer-ort/toetungsanstalt-1940-1944
19 Lern- und Gedenkort, Schloss Hartheim, Information der Dokumentationsstelle Hartheim.
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SIMON GÖLLES
JG. 1905

Simon Gölles wurde am 28. November 1905 als jüngster Sohn von Josef Gölles, von Beruf Bergler, und seiner Frau Antonia, geb. Groß, in Nagl 50, Gemeinde Gnies geboren.2 Josef und Antonia Gölles hatten 6 Kinder: Maria (*13.08.1895)3, Josef (*28.01.1897)4, Juliana (*15.02.1898)5, Johannes (*02.10.1900)6, Magdalena (*31.05.1902)7 und Simon.
Es existiert sogar eine Aufnahme8 der Familie Gölles um 1915:
Der Hof (Nagl 50, KG Gnies, Gemeinde Sinabelkirchen), auf dem Simon Gölles geboren und aufgewachsen ist.9
Simon besuchte die Volksschule in Sinabelkirchen und danach die Landwirtschaftliche Fortbildungsschule. Dies belegt auch ein Artikel aus dem Grazer Tagblatt vom 23. April 1929:
„Der neunte Winterkurs der hiesigen bäuerlichen Fortbildungsschule unter Leitung Oberlehrers Emmerich Frankl feierte am 7, d. seinen Schluss. Ansprachen hielten Bürgermeister Romminger als Obmann des Fortbildungsschulrates, Pfarrer Kropf und der Ortsschulratsobmann Eibel. Für die Kursteilnehmer sprach Simon Gölles. Die schlichte Feier wurde mit der Verteilung der Zeugnisse und Gaben beschlossen.“10
Die Zwischenkriegszeit war für alle eine schwierige Zeit. Wirtschaftskrise und Arbeitslosigkeit bestimmten den Alltag. Die Uneinigkeiten zwischen den beiden rivalisierenden Parteien – Sozialdemokratische Partei und Christlichsozialen Partei – machte sich auch der deutschnational gesinnte Walter Pfrimer zunutze, um seine Gruppierung, den „Heimatschutz“, innerhalb der Heimwehr zu etablieren. Infolge der Weltwirtschaftskrise und der sich häufenden Zusammenstöße mit dem Heimatschutz, verlor die sozialdemokratische Partei immer mehr an Boden. Sie versuchte nun die Mitgliederanzahl des Republikanischen Schutzbundes auszubauen, um gegen den wachsenden Nationalsozialismus sowie Faschismus im Land bestehen zu können. Der 1931 durch Pfrimer geplante Staatsstreich mit dem „Marsch auf Wien“ sollte eine von den Heimwehren geführte Bundesregierung zur Folge haben.11 Von Ilz kommend fuhren mehrere Autos in Richtung Gleisdorf. Einige Burschen aus Untergroßau schlossen sich den Aufständischen an.12 Dieser Putschversuch scheiterte jedoch nach kürzester Zeit, wodurch Pfrimer sich veranlasst sah, diesen Umsturz abzublassen und zu flüchten.13 Nach der Niederschlagung erfolgte auch die Entwaffnung der Heimwehr in Sinabelkirchen.14

In dieser angespannten Zeit, am 29. Juli 1931, heiratete Simon Gölles die Dienstmagd Antonia Frühwirth.15

Nach der Rückkehr Pfirmer nach Österreich und seinem Prozess wegen Hochverrat, der mit einem Freispruch endete, schloss er sich der noch mitgliedsschwachen NSDAP an. Seit diesem Putschversuch war die Regierung damit beschäftigt, die nationalsozialistische Propaganda einzudämmen.16 Möglicherweise waren die nächtlichen Ruhestörungen, die zu jener Zeit in Sinabelkirchen stattfanden, dieser geladenen politischen Situation geschuldet:
„Wie schon öfter, wurde am 17. d. in der Nacht neuerlich durch drei Burschen in Untergroßau die Ruhe empfindlich gestört. Als der beim Besitzer Gartlgruber bedienstete Knecht radfahren wollte, wurde er sogleich mit Holz-scheitern empfangen, worauf er umkehrte. Darauf kamen die Burschen auch zum Besitzer Simon Gölles, wo sie einen förmlichen Steinregen gegen Fens-ter, Türe und Weinhecke losließen. Hoffentlich schreiten die berufenen Stellen dagegen ein.“17

Im Winter 1932/33 konnte die NSDAP ernsthafte Erfolge in der Steiermark erzielen, die bis zum Verbot der Partei im Juni 1933 weiter rapide anstiegen. Der von Engelbert Dollfuß durchgeführte Staatsstreich 1933 beendete die Sozialdemokratie in Österreich. Er ließ noch im selben Jahr den Republikanischen Schutzbund, die Kommunistische Partei, die National-sozialistische Partei sowie den Steirischen Heimatschutz verbieten. Das Parteiverbot hinderte die Sympathisantinnen und Sympathisanten der NSDAP nicht daran, sich im Untergrund wei-ter zu betätigen und die Bevölkerung durch Anschläge zu terrorisieren. Die nationalsozialisti-schen Elemente verübten im Juli 1934 einen Putschversuch; dieser politische Umsturz miss-glückte zwar, jedoch wurde Dollfuß ermordet.18 Diese Nachricht schien der NSDAP in Sina-belkirchen den Mut zur Aktivierung gegeben zu haben. Die Aufständischen versammelten sich im Ort und unter der Bevölkerung trat große Unruhe auf. Die Gendarmeriebeamten des Postens Sinabelkirchen wurden von den Aufständischen mit schussbereiten Gewehren und Revolvern empfangen. Der Postenkommandant wurde von den Aufständischen umringt, entwaffnet und gefangen gehalten. Fünfzehn Mann der Rebellen drangen in den Gendar-merieposten ein und entwaffneten die Beamten. Diese sowie der Distriktarzt und der Bür-germeister aus Untergroßau wurden unter Arrest gestellt. Die Zahl der Aufständischen stieg auf ungefähr 150 Personen. Tags darauf kam ein Kommando der Gendarmerie von Fürsten-feld und säuberte Sinabelkirchen von den Rebellen. Es kam immer wieder zu Kampfhandlun-gen
und Verhaftungen. In den folgenden Jahren trat sowohl in der Bevölkerung als auch politisch keine Ruhe ein.19
Laut Zeitzeugenberichten und auch im Volksmund wurde erzählt, dass Simon Gölles es als einziger in der Pfarre Sinabelkirchen gewagt hätte, gegen den Anschluss an Hitler-Deutschland zu stimmen. Für dieses Verhalten sei er dann in eine „Sausteige“ (Fahrbarer Untersatz mit vergittertem Oberbau mit dem Schweine zum Eber gefahren wurden) gesperrt worden und unter Verhöhnung, Spott und einem Schild, das ihm umgehängt worden sei durch Untergroßau, Gnies, Sinabelkirchen und Egelsdorf gefahren worden. Nach der Akteneinsicht ist es aber unwahrscheinlich, dass dieses „durch die Dörfertreiben“ mit der „Sausteige“ erfolgt ist. Fest steht aber, dass er in mehreren Ortschaften der Pfarre diskriminierend angeprangert, bespuckt und geschlagen wurde.20