Gisela Kaufmann

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Biografie erstellt im Rahmen des Projekts der Universität Graz: https://1585-tomorrow.uni-graz.at/de/#/category/Erinnerung/Vertriebene%20Studierende (Gerald Lamprecht, Marco Jandl) – Vielen Dank für die Verwendung der Texte und Bildmaterialien.

[Statement von Reuben Kaufman/Naomi Smith (Neffe und Großnichte von Gisela Kaufmann), vorgelesen bei der Verlegung des Stolpersteins für Gisela Kaufmann am 24.10.2023 auf der Universität Graz, siehe unten]

 

Gisela Kaufmann wurde am 12. Februar 1907 in Graz geboren. Ihr Vater Nathan Kaufmann war Kultusbeamter in Graz und ursprünglich aus dem südgalizischen Dorf Spas. Die Mutter Netti, geborene Springer, stammte aus dem westungarischen Rajka. Die Familie bestand weiters aus Giselas Geschwistern Josef (1904), Emil (1905), Wilhelm (1908), Julie (1910) und Herbert (1912).

Gisela besuchte ab dem Jahr 1918 das Staats-Realgymnasium in Graz (heute BG/BRG Lichtenfels) und wechselte für die 5. bis 8. Klasse im Jahr 1922 an das damalige öffentlich-städtische Mädchen-Reformrealgymnasium in der Sackstraße 18. Die Mutter Netti Kaufmann verstarb am 17. September 1925 an Nierenversagen. Am 16. Juni 1926 legte Gisela die Reifeprüfung ab. Ein Teil der Familie wanderte in den 1920er-Jahren – wahrscheinlich nach dem Tod der Mutter – nach Kanada aus. Gisela erblindete in dieser Zeit, vermutlich aufgrund eines Tumors, weshalb ihr ein Visum verweigert wurde, da sie als nicht erwerbsfähig galt. Sie und ihr Vater verblieben so in Graz. Gisela wohnte ab dem 17. Oktober 1927 im Grazer Odilien-Institut, einer Einrichtung und Schule für blinde und sehbehinderte Menschen, und kam Ende des Jahres 1931 als „Pflegling“ in eine damals neu eröffnete Filiale des städtischen Altersheimes in die Ziegelstadelgasse 11 (heute Rosenhaingasse).

Gisela Kaufmann war vom Wintersemester 1931/32 bis zum Sommersemester 1935 an der Philosophischen Fakultät als ordentliche Hörerin inskribiert. Als blinde Studentin war sie damals eine absolute Ausnahmeerscheinung im Hochschulbereich. Sie arbeitete mehrere Jahre an ihrer literaturwissenschaftlichen Dissertation zur „Anordnung der Gedichte Mörikes in der ersten Sammlung“. Neben den gedruckten Exemplaren existiert noch eine Version der Arbeit in Braille-Schrift im Besitz der Familie Kaufmann.

Unmittelbar vor den Tagen des „Anschlusses“ legte Kaufmann am 10. März 1938 das einstündige Rigorosum ab. Am 25. Juni 1938 legte sie ihre fertige Dissertation vor. Die beiden Begutachter Karl Polheim und Leo Jutz approbierten die Arbeit. Unter anderem hieß es von Polheim im Gutachten:

„Die blinde Kandidatin arbeitete mit ganzer Versenkung in den Stoff; das kann ich in Kenntnis der mannigfachen Ansätze, Umarbeitungen und Verbesserungen feststellen, welche die Abhandlung im Lauf einiger Jahre unermüdlich gewandelt haben.“ (Doktorats-Akten 2299, UAG)

Kaufmann wurde so zum zweistündigen Rigorosum zugelassen, welches sie am 4. Juli 1938 bestand. Am 6. Juli 1938 wurde ihr die Doktorwürde verliehen, wobei die Promotion nach dem „Anschluss“ für Jüdinnen und Juden ohne Festakt erfolgte. In der erhaltenen Promotionsurkunde wird neben dem damaligen Rektor Hans Reichelt und Dekan Karl Polheim der Physiker Erwin Schrödinger als Promotor angeführt, der im Folgemonat wegen „politischer Unzuverlässigkeit“ entlassen werden sollte und schließlich im September vor den Nationalsozialisten flüchtete.

Auch Gisela und ihr Vater versuchten 1938 vor der nationalsozialistischen Bedrohung zu fliehen und nach Kanada zu ihrer Familie zu gelangen. Wiederum wurde jedoch die Einreise verweigert. Für blinde Jüdinnen und Juden war es sehr schwierig, ein Visum zu erhalten, und so gelang nur wenigen die Flucht aus Nazi-Deutschland. Mit 1. Oktober 1938 kam Gisela nach Wien auf die Hohe Warte 32. Das einst weltweit renommierte „Israelitische Blindeninstitut“ wurde 1939 von den Nationalsozialisten zu einem Heim für Blinde und hochgradig Sehbehinderte, gebrechliche und beeinträchtigte Menschen umfunktioniert. Ab dem Jahr 1941 wurden die BewohnerInnen systematisch deportiert und ermordet. Ihr Vater Nathan zog in die dem Heim nur wenige Straßen entfernte Denisgasse 40, um nahe bei seiner Tochter sein zu können. Er bekam im Mai 1939 die Erlaubnis nach Kanada einzureisen und musste schließlich ohne Gisela das Land verlassen.

Gisela Kaufmann lernte auf der Hohen Warte den blinden Juden Oskar Zeckendorf kennen. Die beiden heirateten am 7. Mai 1941. Sie verstarb nur kurze Zeit später am 3. Oktober 1941 im Wiener AKH aufgrund eines Tumors und wurde am neuen jüdischen Friedhof am Wiener Zentralfriedhof bestattet. Ihr Ehemann Oskar Zeckendorf wurde am 24. September 1942 nach Theresienstadt deportiert, wo er am 28. April 1943 starb. In Wien wurde von ihrer Familie nachträglich ein Grabstein am Neuen Jüdischen Friedhof am Wiener Zentralfriedhof mit ihrem Ehenamen „Gisela Zeckendorf“ errichtet.

(Marco Jandl)

HOFFMANN Barbara, Zwischen Integration, Kooperation und Vernichtung. Blinde Menschen in der „Ostmark“ 1938–1945. Innsbruck–Wien–Bozen 2012.

JANDL Marco, Die Grazer Germanistik in der Nachkriegszeit. Ein universitäres Institut zwischen Neukonstituierung und Kontinuität, Unschulds-Narrativen und Entnazifizierungspolitik. Ungedr. Masterarbeit. Graz 2017.

Statement von Reuben Kaufman/Naomi Smith (Neffe und Großnichte von Gisela Kaufmann), vorgelesen bei der Verlegung des Stolpersteins für Gisela Kaufmann am 24.10.2023 auf der Universität Graz

The Kaufman family is honored to be asked to share some words with you about our aunt and great-aunt, Dr. Gisela Zeckendorf (Kaufman). How to say only a few words about a remarkable woman whom none of us had the opportunity to meet? A difficult task. While we did not know her, there is no doubt that Gisela was a bright, resilient, and tenacious woman. She was a Jew, a woman, and a blind person, and each of these alone could have been insurmountable obstacles at that time. Against all odds, she accomplished an extraordinary amount in her short life. Tragically, Gisela died with no family by her side. They had all emigrated to Canada prior to the war and because of her blindness, Gisela was denied entry into Canada. Like many others at the time, there was no grave marker, no ceremony, and her family was left with few details about the circumstances surrounding her death. We understand that up until his death, her father was burdened with the guilt of leaving her behind. It brings us peace knowing that a Stolperstein is being placed with her name on it, to forever commemorate her and to ensure that she will never be forgotten. Our family wishes to express our sincerest gratitude to Marco Jandl and Barbara Hoffman for researching her life and for letting us learn more about Gisela alongside of them. Thank you also to the University of Graz, Verein für Gedenkkultur, the local ‘godfather’ of Gisela’s Stolperstein, and to everyone else who has played a part in keeping her memory alive.

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