Alfred Blüh

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geb. 8. Juli 1922 in Graz
3. Oktober 1938 „Arisierung“ des Geschäfts
Ende 1938 Flucht nach Jugoslawien
1939 Emigration nach Palästina
1943 Eintritt in die Royal Air Force (RAF)
1946 Emigration nach Ecuador, später Chile

Alfred Blüh wird als jüngster Sohn von Adele und Wilhelm Blüh im Juli 1922 geboren. Die Familie lebt in der Annenstraße 31, wo sich auch ihr Lederhandelsgeschäft und ihre Schuhoberteilfabrik befinden.

Enkelin Diana mit Alfreds Stolperstein

Enkelin Diana mit Alfreds Stolperstein am 17. Juni 2016 Foto Alexander Danner

Schon kurz nach der Geburt verstirbt Mutter Adele am 1. August 1922, sodass Wilhelm seine Kinder alleine groß ziehen muss. Alfred wird in diesen Jahren von Verwandten betreut, während die zwei älteren Kinder Gertrude und Hans beim Vater verbleiben.

Nach der Heirat Wilhelms mit Olga Fleischer im Jahr 1926, Alfred ist gerade vier Jahre alt, entwickelt sich ein intaktes Familienleben. Besonders Stiefmutter Olga kümmert sich intensiv um die drei Kinder, wobei sie eine strenge Erziehung walten lässt.

Der März 1938 verändert das Leben der Familie schlagartig. Alfreds Schwester Gertrude und sein Schwager Josef Scharfstein werden inhaftiert. Das gutgehende Geschäft in der Annenstraße 31 weckt wiederum Begehrlichkeiten der NS-Behörden. Am 11. Juli 1938 werden seinem Vater und Geschäftsinhaber Wilhelm Blüh die Schlüssel für das Geschäft, für die Kassa und Verkaufsräume abgenommen. Das Konto auf der Postbank wird aufgelassen, sämtliche jüdische Angestellte entlassen oder beurlaubt. Im Oktober desselben Jahres wird die „Arisierung“ durch den ehemaligen Angestellten Karl Veverka durchgeführt – offiziell verkauft am 17. April 1939 –, die Schuhoberteilfabrik wird von den NS-Behörden „liquidiert“. Auch die Eigentumsrechte am Haus Annenstraße 31 werden der Familie genommen, welches schließlich unter günstigen Konditionen von den Geschwistern Rudolfine und Johannes Plessing im November 1938 erworben wird.

Alfred Blüh erinnert sich, dass die Atmosphäre in Graz schon vor dem März 1938 sehr antisemitisch gewesen sei, wenn auch weniger öffentlich zur Schau gestellt. Ab den frühen 1930er-Jahren verschärfte sich die Situation. Der Antisemitismus wurde mit dem Aufstieg des Nationalsozialismus immer offener und aggressiver. Auch die Nachbarschaft hätte hier keine Ausnahme gebildet. Besonders eindrücklich ist ihm der sog. „kommissarische Verwalter“ Franz Brunner geblieben, der für die Sicherstellung des Familienvermögens ab Juni 1938 zuständig ist und die „Entjudung“ des Geschäfts durchführen sollte.

Alfred Blüh mit Schwester Gertrude, verheiratete Scharfstein (c) Roberto Blueh

Alfred Blüh mit Schwester Gertrude, verheiratete Scharfstein
(c) Roberto Blueh

Alfred ist zu diesem Zeitpunkt gerade 16 Jahre alt und geht in die zweite Klasse der Bundeshandelsakademie in der Grazbachgasse. Bereits im April 1938 ordnet die NS-Führung die Entfernung aller jüdischen SchülerInnen aus öffentlichen Schulen an. Alfred wird daraufhin als Jude der Schule verwiesen.

Den vorläufigen Höhepunkt der nationalsozialistischen Verfolgungspolitik bilden schließlich die von oben organisierten antijüdischen Pogrome vom 9. auf den 10. November 1938. Zahlreiche jüdische BewohnerInnen werden misshandelt und halbtot geprügelt, viele Männer in den folgenden Tagen verhaftet und ins Konzentrationslager Dachau verschleppt. Der Pogromnacht fallen auch die Grazer Synagoge und die Zeremonienhalle des jüdischen Friedhofs zum Opfer.

Danach fällt die Entscheidung zur schnellstmöglichen Flucht. Alfred wird noch in den Folgewochen zu Verwandten nach Jugoslawien geschickt. Die Abmeldung im Melderegister nach Zagreb erfolgt allerdings schon am 4. Oktober 1938. Er ist der erste seiner Familie, der seine Heimatstadt Graz verlässt. Mit 16 Jahren tritt er alleine die Reise an und verbringt mehrere Monate in Jugoslawien. Ihm folgen schließlich seine Schwester Gertrude und Gatte Josef Scharfstein, sowie seine Eltern Wilhelm und Olga. Mittels eines Kindertransports schafft es Alfred noch im Jahr 1939 nach Palästina zu gelangen, wo er zwei Jahre in einem Kibbuz lebt. Danach besucht er abermals zwei Jahre eine Landwirtschaftsschule, bis er sich im Jahr 1943 bei der englischen Royal Air Force (RAF) als Freiwilliger meldet, um gegen die Nazis zu kämpfen. Ägypten wird sein Einsatzgebiet.

Auch seinen Geschwistern und Stiefmutter Olga gelingt die Flucht. Vater Wilhelm verstirbt allerdings an den Folgen der Strapazen und einer zeitweisen Internierung durch die kroatischen Ustascha im Dezember 1941 in Ljubljana. Die Verwandten in Jugoslawien werden allesamt von den Nazis ermordet.

Rede von Alfred Blüh vor dem Haus Annenstrasse 31

Rede von Alfred Blüh vor dem Haus Annenstrasse 31 am 17. Juni 2016 Foto Alexander Danner

Im Jahr 1946 folgt Alfred dem Großteil seiner Familie nach Südamerika, wo er zuerst in Ecuador und später in Chile lebt. Er heiratet Inge Weglein und gründet mit ihr eine Familie. Die beiden haben zwei Kinder, Robert und Sonia.

Mit seiner Frau Inge besucht Alfred Graz mehrmals, erstmals in den 1960er Jahren. Seine leibliche Mutter Adele, die kurz nach seiner Geburt gestorben ist, liegt am jüdischen Friedhof begraben. Durch die Annenstraße konnten sie aber erst nach langem Zögern fahren, zu stark schmerzten die Vergangenheit und das erlittene Unrecht.

Am 17. Juni 2016 stand Alfred wieder vor dem Haus, in dem er groß geworden ist, gestützt von seiner Tochter Sonia. Gemeinsam mit seinen Kindern und Enkeln, sowie jenen seiner Geschwister Hans und Gertrude, nahm er 94-jährig an der Stolpersteinverlegung für seine Familie teil.

Ein paar Jahre später ist Alfred hochbetagt in seiner späteren Heimat Chile verstorben.

Familie Blüh bei der Adresse Ruckerlberggürtel 14 am 17. Juni 2016

Familie Blüh-Scharfstein bei der Adresse Ruckerlberggürtel 14 am 17. Juni 2016 Foto Alexander Danner

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